Lilli Koisser

Werbung adé, Content olé: Geständnis einer abtrünnigen Werbetexterin

Schon mit 14 wusste ich, dass ich in die Werbung will. Mein Zimmer tapezierte ich mit Mode- und Parfuminseraten, ich bewunderte die glamouröse Welt der Magazinwerbung. Einmal so ein Ding zu produzieren war mein Traum.

Mein Lieblingslied stammte aus dem TV-Spot für den Ford Ka und ich saß wartend mit einer Kassette im Recorder vor dem Radio, um ihn aufzunehmen. Wie man das in den 90ern halt so gemacht hat.

Die Hierarchie der Werbebranche.

Nach der Ausbildung an der Werbe Akademie Wien und diversen Praktika und Projekten in der klassischen Werbung stolperte ich – gottseidank – in die Dialog- und Onlinebranche. Uns haftete immer ein negatives Image an: Die Brieferlschreiber. Die E-Mail-Verschicker. Es wurde einem immer das Gefühl gegeben, gegenüber den „großen“ Agenturen irgendwie minderwertig zu sein. Ich fühlte mich hier aber zuhause und habe schon immer lieber einen Newsletter als eine Plakat-Headline geschrieben.

Ich passe hier nicht rein.

TV-Spots, die für andere Werber der heilige Gral sind, waren für mich das große Grauen. Es ist nicht so, dass ich es nicht konnte, ich wollte nur einfach nicht. Ich dachte immer, etwas stimmt nicht mit mir, weil ich so gerne die in Agenturen unliebsamen Werbemittel textete: Newsletter, Mailings, SMS, Microsites. Gleichzeitig hasste ich, als Werberin, Werbung. Außerdem war ich viel besser organisiert als meine Kollegen in der Kreation und konnte, untypisch für Texter, den Überblick über Projekte und To Dos behalten – und es machte mir sogar noch Spaß. Jetzt, Jahre später, erkenne ich endlich, warum ich so ein Sonderfall war: Ich bin einfach für’s Content Marketing geboren!

Warum ich Content Marketing liebe.

Ich liebe es, die Konsumenten direkt anzusprechen.

Mit „Sie“ und von Bildschirm zu Bildschirm, anstatt von Druckerei zu Plakatwand. Wobei „die Konsumenten“ ja auch schon wieder so ein hochnäsiger Blödsinn ist: Die Konsumenten sind du und ich und keine seelenlosen Lemminge, die wahllos Produkte kaufen, weil sie mit super-überzeugenden TV-Spots gefüttert werden.

Klassische Werbung lässt oft keine Interaktion zu.

Man bekommt etwas vor die Nase gesetzt und weiß nicht, was man damit anfangen soll. Wenn ich eine Anzeige mit Headline, Bild und Logo konzipieren sollte, fühlte ich mich nie so, als würde ich etwas Sinnvolles oder Wertvolles tun. Vielleicht steigen deswegen so viele Werber nach einiger Zeit aus der Branche aus.

Werbung ist von oben herab, Content auf Augenhöhe.

Ich konnte mich nie mit den Textern identifizieren, die in einem Luftschloss leben und denken, sie wären Gottes Geschenk an die Menschheit. Aufgrund ihrer Genialität und Kreativität und so. Ich hatte einmal das Vergnügen, die Hauptveranstaltung der Selbstbeweihräucherung, die Cannes Lions, zu besuchen, und war ein bisschen angewidert von der Selbstherrlichkeit vieler Leute dort. Ich meine, es ist nicht so, als würden sie Menschenleben retten oder die Zerstörung des Regenwalds stoppen.

Content Marketing ist ehrliche Arbeit. 

Recherche, Bewertung von Quellen, immer auf dem Laufenden bleiben, Material sammeln und aufbereiten, sinnvolle Texte schreiben, Content-Distribution: Content Marketing ist Knochenarbeit. Und genau deswegen so befriedigend und wertvoll. Ich ziehe es jedenfalls einem zweistündigen Brainstorming mit einer Flasche Sekt vor, bei dem nur heisse Luft geredet wird.

Ich darf wie eine Journalistin arbeiten.

Ohne eine zu sein. Wie toll ist das denn? Ich finde mein Schreibtalent ist viel besser dort aufgehoben, wo ich Artikel schreiben, Geschichten erzählen und eine Connection zu Lesern aufbauen kann. Die Parfum-Anzeigen soll jemand Anderes machen.

Die Werbung ist heute nicht mehr relevant.

Da, ich hab’s gesagt. Werbung interessiert niemanden mehr. Wir schalten bei TV-Werbung um oder steigen gleich ganz auf Streaming um. Songs hören wir uns auf YouTube an und nicht mehr im Radio. Sauteure Anzeigen werden einfach überblättert. AdBlocker, Bitte keine Werbung-Sticker und Robinsonlisten sind Ausdruck dafür, dass die Menschen in Ruhe gelassen werden wollen. Niemand will sich mit Augenkrebs verursachenden Flugblättern, hirnlosen Radiospots oder absolut nichtssagenden Anzeigen auseinandersetzen.

Ich brauche keinen Stereotypen mehr zu entsprechen.

Ich brauche nicht die verpeilte, exzentrische, aber grenzgeniale Kreative zu mimen. Ich bin froh, dass ich damals schon die „uncoole“ Richtung gewählt und die Kunst des Dialogs von klein auf gelernt habe. Mit meiner Selbständigkeit im Content Marketing bin ich endlich dort angekommen, wohin es mich schon während meiner gesamten Laufbahn gezogen hat: einer Kreuzung aus Journalismus, Organisation und Social Media Management. Mit mir war nichts verkehrt, es gab nur den Begriff Content Marketing damals noch nicht! Hurra!

Foto: Von irgendwo aus dem Internet, bitte entschuldigt die schlechte Qualität! 

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5 Antworten

  1. Liebe Lilli,

    Ich musste so lachen – Du schreibst: „Schon mit 14 wusste ich, dass ich in die Werbung will. Mein Zimmer tapezierte ich mit Mode- und Parfum-Inseraten“. Du wirst es nicht glauben, aber mir ging es genau gleich: mein Zimmer bzw. die eine Wand war voller Parfum-Inserate. Das nur nebenbei. Las daher Deinen Artikel mit einem Schmunzeln 😉

    Karin Baumeler

  2. Hallo Lilli
    „Werbung adé Content olé“ ist die bisher prägnanteste Formulierung für den Umbruch in unserer Marketingwelt, die ich kenne!

    Super! Ich seh es ganz ähnlich 🙂

    LG aus Düsseldorf.

    Jan Steinbach
    Xengoo Consulting

  3. Liebe Lily, toller Blogpost! Ich kann deinen Standpunkt absolut nachvollziehen. Es geht mir so wie dir: recherchieren, analysieren, kuratieren und produzieren.

    Liebe Grüße!

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