Am Valentinstag 2010 ging der erste Blogartikel auf Experiment Selbstversorgung online: Brotbacken mit Sauerteig. Knapp 4 Jahre später hat der Blog von Lisa und Michael, zwei Veganern, die sich auf einem Hof im Südburgenland selbst versorgen, mehr als 3.000 Abonnenten und 45.000 Facebook-Fans.
Zum Vergleich: Das ist in etwa so viel wie der österreichische TV-Sender PULS4 oder das Österreichische Rote Kreuz haben. Ein Interview über Content Marketing, Monetarisierung und wiederverwendbares Klopapier.
Meine beste Freundin und ich machen uns an einem sonnigen Novembertag auf ins Südburgenland, um Lisa und Michael für REdUSE zu interviewen und Fotos vom bio-veganen Selbstversorgerhof zu machen. Ob wir öffentlich anreisen, will Michael vorher wissen. Nein danke, wir fahren nicht öffentlich von Niederösterreich ins Burgenland, wir reisen mit dem Auto an.
Nach fast zwei Stunden erschöpfender Fahrt inkl. Stau (der Zug wäre vielleicht doch bequemer gewesen…) kommen wir in der kleinen Gemeinde im Bezirk Güssing an und fragen uns durch den Ort zum Selbstversorgerhof durch. Man kennt Lisa und Michael und ist es gewohnt, den Weg zu weisen: Das Pärchen empfängt Gäste zur Mitarbeit am Hof (sogenannte Wwoofer) und veranstaltet auch Sommercamps.
Mitten im Nirgendwo sollen wir durch den Wald zum Häuschen vorfahren. Wir lassen das Auto auf einem unbefestigten, mit Blättern verwehten Weg stehen und stapfen zur kleinen weissen Hütte vor. Beide sitzen im Gras, als wir verspätet ankommen: Lisa fertigt ihre Hula Hoop-Reifen aus alten Kaltwasserschläuchen an, Michael reinigt die einzelnen Teile eines Gewächshauses.
Man weiß im ersten Moment nicht so recht, was man miteinander anfangen soll: Die Stadtmädchen treffen auf die Ökos. Ich stakse mit Sonnenbrille zwischen dem Grünzeug herum, achte darauf nichts kaputtzutreten, wobei ich nicht wirklich zwischen Unkraut und Essen unterscheiden kann, und wedele mir Insekten aus dem Gesicht. Michael läuft barfuß durch Gras und Beete und wühlt voller Begeisterung in der Erde herum, während er uns stolz seine Landwirtschaft zeigt. An die 100 Gemüsesorten baut das Pärchen hier bio-vegan an. Über das Thema Weinbau (ähem) erwärmen wir uns dann doch füreinander. Lisa und Michael trinken zwar nicht oft oder gern Wein, bei den Bauern in der Umgebung kommen sie aber manchmal nicht drum herum.
Für das Interview setzen wir uns ins Wohnzimmer der kleinen Bauernhütte, die von oben über Wiesen und Wälder blickt. Beim Reinkommen hat es gefühlte 50 Grad: Der Ofen, der das Häuschen beheizt, steht in der Küche und brütet vor sich hin. Das Pärchen versteht unsere „Puh!“-Reaktion nicht. Ist halt so. Lisa kann während des Interviews nicht still sitzen und bastelt an ihren Hula Hoops, knackt Nüsse oder schneidet Äpfel. Michael ist dafür sehr gesprächig und lümmelt sich in die abgewetzte Couch.
Erzählt mal die Geschichte des Blogs!
Am Anfang war er dazu gedacht, Familie und Freunde auf dem Laufenden zu halten. Da viele Menschen nicht wissen, wie man einen Blog abonniert, kam immer wieder die Frage nach einer Facebook-Seite, auf der die neuen Blogartikel direkt gepostet werden. Nach ungefähr 60 Fans war der erste dabei, den wir nicht kannten. Wir dachten: Wow, das interessiert jemanden „von ausserhalb“! Dann hat es sich ganz langsam entwickelt, erst auf 100 Fans, dann auf 200. Wir haben immer gesagt: Es wäre realistisch, dass wir mal 500 Fans haben! Irgendwann werden wir vielleicht sogar – unvorstellbar – 1.000 haben! Nach ca. 2 Jahren war diese Marke erreicht.
Danach hat es sich relativ gleichmäßig auf 12.000 Fans erweitert, bis vor 3 Monaten. Plötzlich hat es sich sprunghaft pro Woche um 1.500 Leute gesteigert, und wir wissen nicht warum. Mittlerweile sind es 45.000 Leute. Heute haben wir 10 Blog-Kommentare am Tag, 5 E-Mails, 10 Nachrichten über Facebook und 20 Kommentare auf Facebook. Wir haben aber keinen Cent investiert, nicht in Facebook Ads, Google AdWords oder gar gekaufte Fans.
Wie könnt ihr euch den Erfolg erklären?
Wir schreiben zu einem bestimmten Thema, und das über sehr lange Zeit und sehr persönlich. Was auf dem Blog und Facebook passiert ist: Wir geben immer. Wir sind keine Firma, keine Organisation, wir wollen nichts verkaufen. Wir machen das freiwillig, weil es uns Spaß macht. Wir interagieren ehrlich mit den Leuten, antworten auf viele Kommentare.
Im Bereich Social Media glaube ich, dass es ein Erfolgsfaktor ist, wenn der Gründer oder Geschäftsführer selbst twittert. Wenn er Spaß am Bloggen und Teilen hat, dann gebt ihm das Zepter in die Hand! Er kann gerne von Profis unterstützt werden, z.B. bei der Themen- und Fotorecherche oder Textierung, aber die Moderation sollte er selbst übernehmen. Das hat ein ganz anderes Flair. Der thematische Faktor spielt bei uns natürlich auch mit. Viele Leute fragen sich: Können wir so weitermachen als Gesellschaft? Wir ranken für Keywords wie Selbstversorgung auf Seite 1 bei Google.
Wie finanziert ihr euch?
Das Thema Geld haben wir diesen Sommer angesprochen, weil der Server wiederholt zusammengebrochen ist und wir auf einen besseren ausweichen mussten. Also haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass die Leser spenden können. Wir möchten die Kosten auf diejenigen verteilen, die Nutzen davon haben, das finden wir gerecht.
Das uneigennützige Bloggen ist schön und wir haben es auch gemacht, aber wenn ein Blogprojekt so wächst, dass man 30 Stunden pro Woche daran arbeitet, dann muss es sich refinanzieren. Die Leser haben uns schon vor Jahren angeschrieben, dass sie gerne spenden würden. Wir haben immer gemeint: Behalte dein Geld und verwende es, um in einer Food-Coop einzukaufen. Das ist sinnvoller, setz damit den ersten Schritt in diese Richtung.
Dann haben wir damit begonnen, Affiliate Links bei den Buchrezensionen einzusetzen und Bannerwerbung zu schalten. Die Leute würden aber trotzdem lieber spenden. Zurzeit finanzieren wir den Blog zu 60 % aus Affiliate-Links und zu 40 % aus Spenden. Das deckt aber noch immer nur zwei Drittel oder die Hälfte der Kosten, wenn man einen Stundenlohn von 10 Euro annimmt. Ein Webdesigner oder Programmierer verdient zwischen 60 und 120 Euro die Stunde. Dazu kommen noch Abgaben, Sozialversicherung… Wir wollen uns nicht bereichern, aber wir würden niemanden für 10 Euro die Stunde arbeiten lassen. Im Moment bleiben uns ca. 3 Euro pro Stunde übrig.
Wie läuft die Contentproduktion bei euch ab?
Wir verwenden Trello.com. Das ist ein Mindmapping-Tool aus dem IT-Bereich. Für jede Stufe des Prozesses gibt es eine Liste mit Kärtchen: einen Ideenpool, einen Recherchepool… Die meisten Sachen schreiben wir, weil wir grad Lust drauf haben oder weil wir grad ein gutes Buch gelesen haben. Es gibt keinen Zeitplan. Oder wir schauen eben in der Rechercheliste, wo schon Vorarbeit geleistet wurde, und nehmen das Thema in die Arbeitsliste.
Dann machen wir Bilder, bearbeiten sie und laden sie hoch. Wir betreiben nicht wirklich SEO, das möchten wir noch professionalisieren und Keywords in die Texte einbauen. Nur bei den Bildern achten wir darauf, dass wir sie mit ALT-Tags versehen. Vor dem Veröffentlichen liest die andere Person quer, dann stellt der Autor den Artikel auf den Blog und teilt ihn auf Facebook, Twitter, Google+ und Pinterest. Der meiste Traffic kommt über Faceook und Google. An dem Tag, an dem wir bloggen, kommen 80 bis 90 % der Zugriffe über Facebook.
Wer sind eure Leser?
Mitte 20 bis Mitte 40, mit leicht weiblichem Überhang von 6 : 4, eher städtisch. Berlin ist bei Google Analytics mit Abstand ganz weit vorne.
Was ist euer meistgelesener Blogbeitrag?
Auf zum Waschmittel sammeln! (Es geht um Wäsche waschen mit Kastanien, Anm.) Der ist mittlerweile 3 Jahre alt und bekommt jedes Jahr 50.000 neue Leser. Der Titel an sich ist ja schon aktivierend. Wenn man sich ansieht, was die Leute z.B. beim Teilen auf Facebook dazuschreiben, erkennt man, dass es sie mitreisst: „Geile Idee! Ihr wisst, wo ihr mich heute findet!“ Der Artikel hat 160 Kommentare, da tauschen sich seit drei Jahren Leser aus: „Ich mach es so! Ich hab dieses probiert! Der Fleck ging nicht raus, also habe ich noch Natron dazugemischt!“ Hunderte Leute haben das tatsächlich getan. Das waren bestimmt ein paar Packerl Waschmittel weniger, die in der Kanalisation gelandet sind.
Welche Arten von Beiträgen sind am beliebtesten?
Anleitungen, die man auch in der Stadt befolgen kann. Also Dinge, die nahezu jede Person nachmachen kann. Wenn wir hingegen beschreiben, wie man etwas in einem Beet macht, sind es ca. so viele Views wie bei Buchvorstellungen.
Gibt es auch negative Kommentare oder Meinungen?
Wir haben jetzt insgesamt 6.000 Kommentare auf dem Blog. Davon war ein einziger derb beleidigend, und einer extrem anzüglich Lisa gegenüber, einfach so ein dummer Spruch von einem primitiven Schwein. Die habe ich kommentarlos gelöscht. Dazu haben wir täglich 80 Spam-Kommentare. Bei kontroversen Artikeln kommt immer wieder: „Jetzt übertreibt ihr aber völlig, ihr seid Träumer, die Welt kann nie ohne kommerzielle Landwirtschaft genug Nahrung produzieren, wollt ihr dass die Menschheit verhungert?“ Was ich aber interessant finde, denn getroffene Hunde bellen! Und das sind ja auch schöne Vorlagen. Wenn mal wieder jemand schreibt, dass man nicht alles biologisch produzieren kann, antworte ich einfach mit einem Link zur FAO-Studie. Wir brauchen kleine biologische Landwirtschaften mit hohem Handarbeitsanteil, das ist Stand der Wissenschaft. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist dumm oder lügt bewusst.
Es ist einfach ärgerlich, wenn du immer wieder die gleichen Sachen hörst. „Ich will halt einmal im Jahr in Urlaub fliegen, das ist doch nicht so wild. Die CO2-Geschichte ist doch eh erfunden.“ Das ist mühsam. Bestimmte Volksweisheiten, Ausreden und Selbstbelügung werden auf Dauer nervig. Die meisten Kommentare sind aber nett und einzelne irrsinnig bereichernd, wo wir was rausziehen – ein bis zwei Kommentare pro Artikel enthalten einen tollen Link oder neuen Denkansatz. Deswegen ist es so schön, dass wir den Blog haben.
Seid ihr mit einem Thema schon mal so richtig angeeckt?
So einen Artikel können wir jederzeit schreiben. Es ist relativ einfach: wir müssen nur die vegane Lebensweise thematisieren und schon geht es los. Facebook ist niveaulos, Twitter ein bisschen besser. Kommentare auf Blogs haben Niveau, auch wenn sie kritisch sind. Wenn du als Trottel oder Vollidiot beschimpft wirst, ist das immer auf Facebook.
Wenn Leute sich in ihrem persönlichen Lebensstil angegriffen fühlen, gehen die Wogen hoch: Fliegen, Autofahren, 40-Stunden-Woche, Kinder (macht nach jedem Wort Explosionsgeräusche). Manche fragen: „Könntet ihr so leben wie jetzt, ohne Auto, am Land, wenn ihr Kinder hättet?“ Ich sage dann immer, dass beides freie Entscheidungen sind: Ich habe im Moment keine Kinder und kein Auto, deswegen stellt sich diese Frage für mich nicht. Ich kenne aber auch Familien, bei denen das funktioniert. Drum glaube ich, auch wenn ich es selbst noch nicht erlebt hab, dass es geht. Aber du kannst es noch so defensiv und blumig schreiben, die Leute werden trotzdem wütend. „Ihr habt ja keine Ahnung, das was ihr macht ist ja lächerlich, wenn ihr keine Kinder habt!“
Lisa hat letztens Alternativen zu Toilettenpapier thematisiert. Die Leute sollen froh sein, dass ich das nicht geschrieben habe, ich habe in Tschechien wochenlang Blätter verwendet und könnte ihnen genau beschreiben, welche jucken. Dann würde ich es verstehen, dass sie sich auf den Schlips getreten fühlen (Lisa hat über wiederverwendbare Stofflappen geschrieben, Anm.). Aber da verstehe ich es nicht. Was ist so schlimm daran, sich darüber Gedanken zu machen?
Lisa: Das war teilweise echt beleidigend und das erste Mal, dass ich mir gedacht habe: Ich schreib sowas nicht mehr! Ich nehme mir so etwas auch zu Herzen, obwohl ich rational weiss, dass ich das nicht darf.
Michael: Andere fühlen sich bestätigt und berichten über ihre Erfahrungen mit Zeitungspapier, also noch viel verrücktere Ideen! Und so etwas löst dann kontroverse Diskussionen aus, was in Zusammenhang mit Facebook irrsinnig viele Besucher bringt. Wer also mehr Besucher auf seinem Blog haben möchte: Es lohnt sich, über kontroverse Themen zu schreiben!
Wie wird es mit dem Projekt weitergehen?
Es war nie beabsichtigt, dass der Blog kommerzialisiert wird. Wegen der Serverkosten muss er sich aber bald selbst tragen, oder wir müssen ihn abschalten. Der Server brach jedes Mal, wenn wir einen neuen Artikel veröffentlicht hatten, zusammen und war dann stundenlang nicht erreichbar. Das macht keinen Spaß.
Wir werden konkret nach Kursen gefragt. Diesen Sommer wurde testweise ein Sensenkurs abgehalten, der gut angekommen ist – wahrscheinlich werden wir ab nächstem Jahr Kurse anbieten, z.B. wie man ein Hochbeet baut, Kompost handhabt, Wildkräuter sammelt. Es soll praxisbezogen um den Lebensmittelanbau gehen. Auch Bau-Workshops für Stroh-Lehmhäuser oder lebenden Weidenbau können wir uns vorstellen.
Wir möchten gezielt Workshops anbieten, die die Leute wollen – wir würden auch einen Tag nach Wien kommen um ein Thema durchzugehen, das man nach Wunsch zusammengestellt hat. Es macht uns einfach viel Freude, das Wissen weiterzugeben, deswegen bloggen wir ja auch und nehmen Wwoofer auf. Wir haben fast durchgehend 2 oder 3 Leute da. Bei einem Kurs könnten plötzlich 15 Leute auf einmal hier sein. Wenn man das im Sommer einmal pro Monat macht, sind das 60 oder 80 Leute mehr.
Wollt ihr Bücher veröffentlichen?
Wir schreiben natürlich gerne und werden auch von Verlagen angeschrieben. Wir würden es schön finden, Bücher zu schreiben, aber sie müssten auch einen Mehrwert haben – nicht einfach nur 10 Blogartikel abdrucken, die gibt es eh gratis auf der Website. Das machen zurzeit drei Verlage im deutschsprachigen Raum. Zu bloggen und ein Buch zu schreiben ist etwas anderes, wir würden etwas Neues schaffen wollen. Auch Kochbücher würden sich anbieten.
Man gewinnt durch einen Blog Einblick und Kontakte, interviewt spannende Leute, daraus Bücher zu kreieren ist sicher eine tolle Sache. Diese könnte man dann über den Blog vermarkten. In den letzten Jahren hat ja auch ein Image-Aufbau stattgefunden. Viele Leute sehen uns als Gartenbau-Profis, die Selbstversorger schlechthin. Dadurch hätte der Blog auch eine Werbeleistung, man könnte sich anhand der Leserzahlen den Tausendkontaktpreis ausrechnen und mit klassischer Werbung vergleichen. Von den 45.000 Menschen werden vielleicht 1.000 unser Buch kaufen, weil unser Name draufsteht und sie den Blog gut finden. Das werden wir natürlich nutzen. Dann muss der Blog sich auch nicht mehr selbst tragen, dann bringt er uns ja etwas. Aber unterm Strich muss es Freude machen!
PS. Lisa und Michael sehen sich selbst nicht als Aussteiger. Warum, lesen Sie in meinem Interview für GLOBAL 2000.
Interview: Lilli Koisser
Fotos: Simone Steiner
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